Aktuelles
Lieferengpässe für Standardmedikamente
aus hausärztlicher Sicht
Update Juli 2024 mit Historie ab Oktober 2022
da freut sich unsere KV Hessen darüber, dass es ihr gelungen ist, die medikamentöse Versorgung ihrer Patienten auch für 2022 sichergestellt zu haben! Dabei wurde das Arzneimittelausgabenvolumen um 5,8 % erhöht, was den Herstellern satte Gewinne verspricht. 5,4% Steigerung waren es bereits im Jahr 2021 und 5,2% in 2020. Dank dieser Maßnahme könnten auch die neuesten hochpreisigen Präparate verordnet werden!
Gestern konnte von den Apotheken kein Cotrimoxazol und kein Tamoxifen im Handel besorgt werden, vorgestern kein Venlafaxin und nun kein Ibuprofen. Die Liste der nicht lieferbaren Präparate ist lang und wird immer länger. Pech gehabt liebe Patienten! Anscheinend sind die Herstellung und der Vertrieb dieser Präparate nicht lukrativ genug. Dann hält man doch lieber die Produktionskapazitäten für die teuren Neuentwicklungen und „Pseudoneuentwicklungen“ bereit.
Wenn ich als Hausarzt nicht den Versorgungsvorgaben gerecht werde, z.B. durch Verweigerung der schlecht vorbereiteten und umgesetzten Telematik Infrastruktur (TI), werde ich mit einem Honorarabzug in Höhe von 2,5 % pro Quartal gemaßregelt.
Wie wäre es mit einem Moratorium bezüglich der Zusagen zur Arzneimittelausgabensteigerung, wenn die Versorgung mit den so wichtigen Standartpräparaten nicht funktioniert? Statt 5,8% Steigerung eben nur 4%, was immer noch recht üppig ist. - Mit Sicherheit ein Albtraum für den Verband der Arzneimittelhersteller und deren Lobbyisten, aber mit Sicherheit auch ein Mittel, die Versorgungssicherheit der Patienten zu erhöhen.
Richtig! Ich nähme hier den Verband der Arzneimittelhersteller in die Pflicht, die für die satten Gewinne durch Zusatzvolumina im Rahmen einer Mischkalkulation einen Sicherstellungsauftrag erfüllen sollten, ja müssten, damit auch die für den täglichen Gebrauch erforderlichen Präparate zur Verfügung gestellt werden.
Offensichtlich ist die Motivation, dringend benötigte preisgünstige Arzneimittel der Standardklasse herzustellen und vorzuhalten nur gering. Die KV verhandelt Budgets für Leistungen und Arzneivolumina, honoriert und sanktioniert. Sie hat einen Sicherstellungsauftrag, dem auch wir Therapeuten nachkommen müssen. Vielleicht vergaloppiere ich mich da, aber ich fände ein Moratorium der jährlich überproportional wachsenden Arzneimittelausgabenraten in gewissem Maße angebracht, wenn die Versorgung mit Standardpräparaten vom Verband der Arzneimittelhersteller nicht gewährleistet wird. - Ruckzuck gibt`s auch wieder Ibuprofen und Cotrim!
Juli 2024
Unfassbar aber es geht noch schlimmer:
Die Arzneimittelvereinbarung für Hessen erhöht die Ausgabenobergrenze für Arznei- und Verbandmittel im Vergleich zu 2023 nochmal um + 8,65 Prozent auf 3.460.535.904 Euro.
Damit sei die erforderliche wirtschaftliche Arznei- und Verbandmitteltherapie für unsere Patientinnen und Patienten auf hohem Niveau weiterhin sichergestellt, so Dr. Stefan Grenz, Vorstandsberater Pharmakotherapie der KV Hessen in einem Rundschreiben auf info.pharm.
Bei uns sind auch in diesem ganzen Jahr wieder zahlreiche Standartpräparate aus der „Hausarztapotheke“ nicht lieferbar (bisher 200 – 300 u.a. Antibiotika, Salbutamol etc.) und die Versorgung ist alles andere als toll. Im Gegenteil! Patienten allen Alters mit Atemnot, Schmerzen und schweren Infekten sind die Leidtragenden und das auf völlig überflüssige Art und Weise!! – Verknappung auf hohem wirtschaftlichen Niveau… mal was anderes.
Höchst fragwürdig ist für mich auch, dass die Verordnung von z.B. extrem hochpreisigen Immunmodulatoren und Chemotherapeutika extrabudgetär läuft, als könnte man in der Behandlungsbedürftigkeit zwischen wichtig und nicht so wichtig unterscheiden. Die Niedergelassenen sind hingegen dazu aufgerufen, eine Generikaquote einzuhalten. Im Vergleich ein Tropfen auf den heißen Stein und kaum wirksam, da die verordneten Medikamente oft nicht lieferbar sind und häufig nur die Großpackung N3 (auch für Neueinstellungen!!!) abgegeben werden kann. Das Fahnden nach gerade erreichbaren Präparaten sowie das Umschreiben der Rezeptur via E-Rezept ist inzwischen eine tägliche unbezahlte Übung ( ala Sisyphos 2.0) für die Ärzte genauso wie für die letzten noch beratenden Apotheken.
Apropos: Sollten ich oder meine Patienten der Meinung sein, einen Facharzt zur Diagnostik und Therapie konsultieren zu wollen ist das kein Problem, wenn bereits zuvor ein Termin ausgemacht wurde. Wenn nicht, kommt nach Terminanfrage umgehend die Aufforderung, doch einen Hausarztvermittlungsfall zu bescheinigen, da es ja sonst (dem KV-System geschuldet) Monate dauern würde. Schließlich müsste ich als guter Hausarzt doch die geschilderten Beschwerden ernst nehmen! Bei Wirbelsäulenbeschwerden wird erwartet, dass wir vor dem Facharzttermin bereits ein MRT veranlasst haben und am besten zur Überbrückung schon mal ein Physiotherapierezept. Die umständliche Facharztterminvergabe ist natürlich kein Problem der Arzneimittelvereinbarung, lässt aber den Geduldsfaden für unsere tägliche Arbeit zusätzlich zusammenschnurren.
Es ist schlichtweg eine Frechheit, uns Niedergelassenen dieses
Verhandlungsergebnis als Erfolg verkaufen zu wollen. Jubeln können
da nur andere, nämlich die Pharmahersteller mit Gewinnmargen von
rund 25% und mehr? -
Ärzte rezeptieren, wissen aber nicht, zu
welchem Preis das soeben verordnete Präparat von den Krankenkassen
schließlich erworben wird denn die Rabattverträge unterliegen dem
Siegel der Verschwiegenheit.
Und unsere Patienten? Sie bilden
sich ihre Meinung….
Dr. Andreas Pfaff
Bad Endbach im Juli 2024