Migräneprophylaxe
Nach Kosten und Nutzen gewichtet
Anamnese, Anamnese, Anamnese, so lautet die übereinstimmende
Empfehlung vor Entwicklung einer Behandlungsstrategie, die erfahrene
Kopfschmerztherapeuten geben.
Vor allem dadurch lassen sich
zumeist effektive und wertvolle Hinweise gewinnen, wie Beschwerden
gemindert oder erträglicher gestaltet werden können.
Was nützen
die besten prophylaktisch wirkenden Medikamente, wenn z. B. für
Migränepatienten typische Belastungsfaktoren nicht erkannt und
reduziert werden?
Aktuell werden neuere Migränemedikamente wie CGRP-Antagonisten
oder Gepante (Aimovig (Erenumab), Ajovy (Fremanezumab), Emgality
(Galcanezumab), Ubrelvy (Ubrogepant), Nurtec ODT (Rimegepant) und
Qulipta (Atogepant)) in ihrer Effektivität Präparaten anderer
Substanzklassen gegenübergestellt, und bewegen sich dabei in einem
Preissegment unglaublicher Höhe mit meist 400–500 Euro im Monat bzw.
mehreren tausend Euro pro Jahr über dem bisher im Gebrauch
befindlichen.
Die neuen Präparate können eingesetzt werden, wenn
zuvor genutzte andere Prophylaktika nicht den gewünschten Effekt
erzielen konnten. Eine vorherige Beratung der Patienten durch den
Verordnenden wird vorausgesetzt.
Folgende Fragen drängen sich mir als Praktiker und als KV-Arzt
auch als Verwalter (!!!) der Mitgliedsbeiträge unserer Versicherten
auf:
- Warum wird die Effektivität einer ausführlichen begleitenden
ärztlichen Beratung, ggfs. unter gleichzeitiger Nutzung
bewährter Prophylaktika im niedrigen Preissegment, nicht gegen
die Effektivität der neuen Präparate getestet, ebenfalls
natürlich, unter Beratung der Verordnenden? Und zwar
längerfristig mit einem Beobachtungszeitraum > 6 Monate! Ich
glaube nämlich nicht, dass Testreihe 2 ein signifikant besseres
Ergebnis ergäbe als Testreihe 1! Bleibt die Frage, ob dann die
Differenz noch einen dermaßen riesigen Sprung der
Behandlungskosten rechtfertigt.
- Sollte nicht eine mögliche Kostenersparnis im vierstelligen
Eurobereich pro Jahr und Patient für die
Versichertengemeinschaft diesen Vergleich wert sein?
- Wie ist es zu erklären, dass Jahrestherapiekosten von
tausenden Euro für neue Medikamente erstattet werden, während
die ausführliche regelmäßige ärztliche Beratung nach EBM und
unter Budgetierung nur mit wenigen hundert Euro vergütet werden
können?
- Ist die Medikation überhaupt effektiver als die
fachmännische Beratung? Auch das zweifele ich in diesem
Zusammenhang deutlich an.
- Bei ca. 30 % liegt der Placebo-Effekt in der
Migränebehandlung beim Einsatz eines neuen Therapieverfahrens
über mehrere Monate. Dieser reduziert sich in der Regel nach 6
Monaten, besonders dann, wenn die bisherigen Trigger in der
Zwischenzeit nicht vermindert werden konnten. Glauben manche
Patienten vielleicht, sich die Verordnung eines dermaßen teuren
neuen Medikamentes zur Vorbeugung und Behandlung dadurch
verdienen zu müssen, dass sie eine bessere Wirksamkeit angeben
als für jene, die mit dem Vorpräparat erzielt werden konnte?
Droht ohne Erfolg etwa der Entzug des Toppräparates? „Bin ich es
dann nicht mehr wert, das Beste und Teuerste zu erhalten, das
auf dem Markt erhältlich ist?“ Beobachtungen aus der Praxis
lassen mich dies vermuten.
Mein Appell an die verantwortlichen Kommissionen lautet daher,
eine Kosten-Nutzen-Analyse gängiger Therapieverfahren durch neutrale
Überprüfung baldigst in die Wege zu leiten!
Millionen Euro an
Mitgliederbeiträgen der Versichertengemeinschaft könnten bundesweit
eingespart werden, wenn eine Verhältnismäßigkeit der Kostenstellung
gewahrt würde und der herstelleraffine Lobbyismus weniger Gehör
fände! Vermutlich ein utopisches Wunschdenken...
Nicht vermutlich, sondern mit Sicherheit utopisch, denn zu
lukrativ sind bei diesen Gewinnmargen die zur Verfügung gestellten
Referentenhonorare, die unsere meinungsbildenden Neurologen und
Einrichtungsleiter für ihre Vorträge über die neuen Präparate und
deren Vorteile erhalten. Wer will sich durch kritische Kommentare
selbst das Wasser abgraben und ins Abseits der Fachgilde stellen
oder gar das eigene Nest beschmutzen? Das nennt man dann
Interessenkonflikt! Da es bei uns verpflichtend ist, vor einer
Vortragstätigkeit zu benennen, bei welchen Firmen man auf der
Gehaltsliste steht, sollten die Teilnehmer hier genauer zuschauen.
Moniert wird da schon lange nicht mehr, denn die
Fortbildungsteilnehmer sind es inzwischen gewohnt, dass bei den
prominentesten Referenten praktisch und faktisch quasi die gesamte
Firmenbreite derer gelistet wird, die in der Sparte etwas verdienen
wollen. Sie alle sind auf Experten angewiesen, die für Fachkreise,
Öffentlichkeit und z. B. auch bei Selbsthilfegruppen Werbung für
ihre Präparate machen.
Dr. Andreas Pfaff
Interessenkonflikte: Keine
Bad Endbach im Juni
2025
P.S.: Dieser Kommentar könnte vermutlich in sehr
ähnlicher Form u. a. auf Gebiete der Onkologie übertragen werden, wo
die enorm wichtige Psychoonkologie oft einen Hauptteil der Arbeit zu
verrichten hat, oder auf die Rheumatologie mit den Tätigkeiten der
therapiebegleitenden und beratenden Berufsgruppen. Die Relation der
Kosten und Nutzen darf auch hier hinterfragt werden!