Migräne Ursachen
Ursachensuche
Die Zusammensetzung und die Gewichtung verschiedener Kopfschmerz auslösender bzw. -begünstigender Faktoren ist bei jedem Patienten verschieden. Diese Faktoren addieren sich und potenzieren sich teilweise gegenseitig in ihrer Wirkung.
Ich möchte Euch ein Gedankenmodell vorstellen, das nicht unbedingt spektakulär ist, sich dafür aber in der Praxis zur mittel- bis langfristigen Therapiebegleitung als recht nützlich erwiesen hat: Nehmt Euch ein Blatt Papier und zeichnet einen Kreis. Diesen Kreis unterteilt Ihr, ähnlich einer Kuchentorte, in verschieden große Stücke. Jedes Stück entspricht einem anderen Kopfschmerzfaktor, die Größe der einzelnen Stücke Eurer individuellen Gewichtung.
Beispiele hierzu sind in unserer Päsentation zu finden.
Viele kommen bei dem Tortenmodell in Selbstanalyse schon sehr weit. Hinzuziehen solltet Ihr ein Kopfschmerztagebuch. In manchen Bereichen kann die Einschätzung der Familie, Freunde, Ärzte oder Therapeuten hilfreich sein (z.B. Wirbelsäule, Stress,..).
Die Torte soll eine Momentaufnahme darstellen.
Der Schritt zur Behandlung ist nun, zu ermitteln, welche Faktoren den größten Stellenwert einnehmen und dann zu überlegen, welche Faktoren sich überhaupt bzw. zurzeit am günstigsten beeinflussen lassen - und wie.
Nach einigen Wochen kann die "Torte" u.U. ganz anders aussehen.
Es handelt sich hierbei um unser momentanes Arbeitsmodell. Für
ergänzende Vorschläge sind wir ebenso dankbar wie für Kritik!
Am Kuranfang besprechen wir in der Gruppe zunächst allgemein die uns
bekannten Kopfschmerz auslösenden oder begünstigenden Faktoren. Die
Patienten gehen diese der Reihe nach durch, gewichten sie subjektiv und
versuchen sie in freier Einteilung in die Torte aufs Papier zu bringen.
Dabei stehen die häufigsten oder nachhaltigsten Auslöser
(Kopfschmerztagebuch) gleichberechtigt neben Dauerbelastungen (Stress,
Rückenschmerzen, Verdauungs- oder Schlafprobleme, Infekte, ...). Rücken-
oder Verdauungsprobleme z.B. lösen zwar nicht automatisch Kopfschmerzen
aus aber sie binden täglich viel Kraft und Energie, die ansonsten zur
Verarbeitung anderer Stressfaktoren genutzt werden könnten.
Im Einzelgespräch besprechen wir dann fürs Erste die
Behandlungsschwerpunkte. Gegen Kurende aktualisieren wir die Torte und
überlegen Strategien für zuhause. Verändert haben kann sich inzwischen
einiges, nur wie leicht einzelne Bereiche beeinflussbar sind erkennt man
erst am Verlauf. Orthopädische Probleme sind meist einfacher anzugehen
als Stresskonstellationen. - Dies mag nicht unbedingt generell so sein
aber unsere Physiotherapeuten sind da ausgesprochen fit. Um für
Psychostress Problembewusstsein zu fördern, helfen zum einen die primäre
Abstinenz durch den Aufenthalt in anderer Umgebung (Lernen am Erfolg)
und zum anderen auch die anderen Teilnehmer, die quasi als teilgeführte
konstante Selbsthilfegruppe Kritik und Unterstützung bieten. in den
Gesprächskreisen werden Stress u. Verhaltensstrategien gesondert
thematisiert.
Wem die Tortensymbolik nicht so liegt, der kann sinngemäß natürlich auch verschieden große Bausteine zu einem Turm aufeinanderlegen, der dann irgendwann den Anfallsauslöserlevel erreicht. Auch hier ist es nicht unbedingt entscheidend an welchem Baustein man zuerst sägt, Hauptsache die Gesamtturmhöhe sinkt unter Niveau.
Natürlich kann man auch ohne Kur so vorgehen, was in leichteren Fällen mit nur wenigen und nicht so komplizierten Konstellationen auch ganz gut funktionieren dürfte.
Wir haben halt eher mit den "schweren Brocken" zu tun.
(Kopfschmerzmischformen und besonders starke Ausprägungen mit
Arzneimittelunverträglichkeiten u.s.w.)
Bei der Selbstanalyse nimmt man die Gewichtung einzelner Auslöser
natürlich ganz anders vor, als z.B. ein neutraler Behandler bzw. ein
Behandlerteam dies tun würde. Am Wichtigsten für den Schritt zur
Therapie ist es, aus den wie auch immer ermittelten Faktoren diejenigen
herauszufinden, die im Moment beeinflussbar sind u. welche nicht bzw.
kaum. - Weil Einflüsse nicht zu meiden sind, das Meiden oder Verändern
Verluste oder Unannehmlichkeiten bereitet, das Wissen um pathogene
Zusammenhänge fehlt oder auch weil momentan kein Stress- oder
Konfliktbewusstsein vorhanden ist - als Voraussetzung für die
Beeinflussung eines jeweiligen Auslösers. Ändert sich das Wissen, ändert
sich auch die Torte! Aber fast in allen Fällen ist es möglich,
Teilerfolge zu erzielen: Einzelne - natürlich nicht alle! - Faktoren
schrumpfen zu lassen, andere zu beseitigen. - Eine kleinere Torte, mit
selteneren, kürzeren und weniger intensiven Kopfschmerzphasen als Ziel,
in Verbindung mit einem verantwortungsvollen Umgang mit der eventuell
nötigen Medikation.
An welchem der Faktoren man beginnt ist zweitrangig, nur möglichst nebenwirkungsarm und relativ berechenbar in den Reaktionen sollte die Strategie sein.
Das Tortenmodell ist auch deshalb gut einsetzbar, weil es hierüber
gelingen kann, die Patienten in ihrer jeweiligen Situation abzuholen,
machbare Veränderungen zu planen und gemeinsam Therapievorschläge zu
diskutieren.
Bei unseren Modellen ("Torte" und "Turm") und dem weiter unten von
Eckhard vorgestellten "Balkendiagramm" gibt es etliche Gemeinsamkeiten
aber auch Unterschiede.
Mir sind zunächst folgende Punkte wichtig: Es gibt mehrere Faktoren: Direkte Auslöser und evtl. Dauerbelastungen. Zusammensetzung und Gewichtung sind bei jedem etwas anders. Direkte Auslöser bekommt man evtl. über Tagebücher heraus, Dauerfaktoren eher über ein systematisches Abchecken möglicher Risikofaktoren bzw. Problembereiche. - Ziel des Ganzen: Kurzanalyse der Faktoren und Zusammenhänge sowie deren Beeinflussung mit kurz- bis mittelfristigen Strategien.
Das Balkendiagramm würde im Idealfall eine exakte Analyse der für die letzten Anfälle verantwortlichen Auslöser abgeben sowie eine genaue Vorhersage darüber wann und unter welchen Voraussetzungen der nächste Anfall zu erwarten wäre. Vorbeugend könnte man dann seine Stressfaktoren so auswählen, dass man gerade unter dem Auslöserlevel bliebe.
Wenn ich das System so richtig interpretiere:
Eine prima Idee!
Schwierigkeiten sehe ich in folgenden Punkten:
Auslöser, auch wenn sie in der Tabelle den gleichen Namen haben, sind nicht immer gleich stark: Mal hast Du Gewitter, mal nur ne Luftdruckänderung, mal ärgerst Du Dich ein bisschen über die Schwiegermutter, mal total, mal ist’s ein Gläschen Rotwein, mal ne Karaffe und mal hast Du Ischias und mal nur ein leichtes Ziehen im Rücken. - Da könnte man dann noch pro Faktor 1-3 Sterne vergeben um zu differenzieren.
Auch ist die Anfallsbereitschaft nicht jeden Tag die gleiche, so dass man für das Auslöselevel eine beträchtliche Varianz nach oben und unten einräumen müsste.
Nun das Hauptproblem:
Die Präzision der Selbstbeobachtung und Selbsteinschätzung.
Wiederum idealerweise würde das Tabellenprotokoll von einem im
klassischen Repertorisieren geübten Homöopathen geführt werden, dem auch
der scharf riechende Pups bei Halbmond um Mitternacht nicht entgeht.
Wie beobachtungsfähig der Einzelne nun ist, kann ich nicht beurteilen aber selbst beim Ausfüllen des im Vergleich recht simplen Tortenmodells klammern manche Patienten riesige und für alle anderen deutlich ersichtliche Problemzonen total aus und stürzen sich dafür mit Vehemenz auf "unbedrohliche Nichtigkeiten".
Fatal ist es erst recht, wenn Perfektionisten, von denen es unter den Migränikern auch etliche gibt, den Tag über in Selbstbeobachtung verbringen und auf die ersten Anzeichen von Kopfschmerz lauern um dem Auslöser auf die Spur zu kommen. Dann hat die Migräne endgültig gewonnen! Schließlich zählt Ablenkung zu den effektivsten Strategien der Schmerzbewältigung und die Aufmerksamkeit sollte eher vom Schmerz weg als auf ihn zu gelenkt werden.
Ich finde, sowohl das Tortenmodell (quasi als Spatz in der Hand), als auch das Diagramm kann wertvolle Dienste leisten, die Eigenbeobachtung schulen und für die Therapie wichtige Informationen liefern. Nur Überbewerten darf man beides nicht wegen der beschriebenen Variablen und diverser Fehlerquellen. Auch darf das Ausfüllen nicht zu viel Zeit und Lebensraum in Beschlag nehmen.
Ein Angebot
Geschrieben von: Eckhard Freuwört
Heinz, Peter und Andreas dürften jedem hier im Forum ein Begriff sein. Von Heinz stammt die Alarmanlagen-Hypothese hinsichtlich der Migräneauslöser. Peter hat mit seinen Threads (unwissentlich) einige wichtige Informationen für meine eigene Interpretation der Alarmanlagen-Hypothese geliefert (die sich - natürlich! - nicht in allen Punkten mit der Meinung von Heinz deckt, aber das ist in diesem Zusammenhang unwesentlich).
Ausgehend von dieser Grundlage habe ich jetzt ein kleines, experimentelles Programm zur Auswertung von Migränetagebüchern geschrieben, das ich hiermit allen gratis zur Verfügung stelle. Die Software verfolgt den Zweck, Migräneauslöser ausfindig zu machen. Als experimentell bezeichne ich die Software deswegen, weil ich nicht weiß, ob sie allgemein anwendbar ist und ob sie zweifelsfreie Ergebnisse liefern kann. Meine bisherigen Erfahrungen damit waren aber durchaus positiv. Programmtechnisch gesehen ist das Ding aber OK - Ihr findet es auf meiner HP (http://berg.heim.at/anden/420928/) unter "Über mich/ Biografisches" auf der dritten Migräne-Seite unter dem Titel "Vorschlag für einen Behandlungsansatz". Es ist bewusst etwas versteckt abgelegt worden, weil es wirklich nur für die Betroffenen gedacht ist. Bitte beachten: Das Programm erfordert MS-Excel.
Und gleich zur Klarstellung: Das ist weder ein Wundermittel noch eine neue Heilslehre und auch nicht zur Akutbehandlung eines Anfalls geeignet. Es ist eher ein Versuch, die Migräne zu reduzieren, um besser damit klarzukommen.
Und was hat jetzt Andreas mit der ganzen Geschichte zu tun? Er hat sich das Proggie in seiner Funktion als Arzt schon mal angesehen. Er sagt dazu wörtlich: "Im Forum vorstellen solltest Du Deine Idee in jedem Fall. Viele können sie sicher direkt verwenden, andere mit Einschränkungen..."
Re: Ein Angebot
Geschrieben von: Dr. Andreas Pfaff
Eckhard hat sich viel Mühe gemacht mit seinem Programm und dadurch zwei wesentliche Punkte zur Darstellung gebracht: Erstens sind die zeitlichen Abläufe des Kopfschmerzes prima nachzuvollziehen und Veränderungen damit gut zu erkennen und zweitens zeigt es, dass das Zusammenspiel mehrerer Faktoren das individuelle Krankheitsbild ausmacht.
Ergänzend zu den in der Tabelle genannten Triggern bzw. Grundbelastungen sehe ich immer wieder 2 weitere, dort nicht besonders genannte Faktoren, die berücksichtigt werden sollten: HWS-Nacken-Probleme sowie rezidivierende oder chronische Infekte im Hals-Nasen-Ohren- und Zahnbereich.
Die Gründe dafür sind folgende:
1. Auch wenn beides natürlich nicht zwingend Migräne auslöst, so sind HNO- oder Nackenschmerzen sicherlich markante Stressoren und ob Stress nun körperlicher oder psychischer Art ist, ist zweitrangig. Stressreduzierung jeglicher Art gehört zur Therapie. Können diese Schmerzen gemindert werden, steht gleich eine Menge Energie mehr zur Verfügung um auch andere Belastungen besser bewältigen zu können.
2. In der Psychologischen Therapie spielt das Thema "Aufmerksamkeitslenkung" eine große Rolle. Wie aber soll sich jemand vom Kopf ablenken, der ständig Nacken bzw. Stirnhöhlenschmerzen hat? Auch wenn Professor Diener der Meinung ist "HWS-Probleme haben nichts mit Migräne zu tun", so sollten sich Patienten mit den entsprechenden Beschwerden nicht von einer Behandlung selbiger abbringen lassen! Ob sich die Migräne dadurch bessern lässt - in Häufigkeit oder Dauer - kann dann jeder selbst beobachten.